Beweislast

in der gesetzlichen Unfallversicherung

Grundsatz:

Die Nichterweislichkeit einer anspruchsbegründenden Tatsache nach Ausschöpfung aller in Frage kommenden Ermittlungsmöglichkeiten geht zu Lasten desjenigen, der daraus ein Recht herleiten will. 

Vollbeweis

Bundessozialgericht B 2 U 8/14 R 17.12.2015:

"...Die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale

"versicherte Tätigkeit",

"Verrichtung",

"Unfallereignis" sowie

"Gesundheitsschaden" erfüllen sollen,

müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, feststehen."

Hinreichende Wahrscheinlichkeit

Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 mwN).

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Keine Vermutungsregel zugunsten der Versicherten

In der Wegeunfallversicherung wie auch sonst bei anderen Versicherungstatbeständen der gesetzlichen Unfallversicherung besteht keine Vermutungsregel, dass bei Verrichtung einer versicherten Tätigkeit unmittelbar vor dem Unfallereignis der Unfall objektiv und rechtlich wesentlich durch diese versicherte Tätigkeit verursacht wurde. Sind - wie hier - die Umstände, die vor dem Unfallereignis unmittelbar auf den Kläger eingewirkt haben, unbekannt, kann nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Sturz durch ein Risiko verursacht wurde, gegen das die gesetzliche Unfallversicherung beim Zurücklegen des Weges nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII Schutz gewähren soll..."

Beweislast für Versicherte Tätigkeit

Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu der der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis zu erbringen, d.h., es muss bei vernünftiger Abwägung des Ergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen versicherter Tätigkeit als erbracht angesehen werden können. Es muss also sicher feststehen, dass im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde (BSG vom 27.03.1990, 2 RU 45/89).

Es muss sicher feststehen, daß im Unfallzeitpunkt eine - noch - versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde (BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84 mwN). Lässt sich nicht feststellen, ob der Versicherte bei einer Verrichtung verunglückt ist, die - wenn feststellbar - in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden hätte, trifft die objektive Beweislast für das Vorliegen dieser Verrichtung den Versicherten (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 19; BSG Urteil vom 28. Juni 1984 - 2 RU 54/83 - HV-Info 1984, Nrn 15, 40; BSGE 58, 76, 79 = SozR 2200 § 548 Nr 70; s auch BVerfG SozR 2200 § 548 Nr 36).

Zur sogenannten Beweiserleichterung BSG B 2 U 2/11 R

  • Außendienstmitarbeitertypische Probleme (Kunde nicht feststellbar): steht fest, dass eine betriebsbedingte Fahrt unterbrochen wurde und ist eine versicherte oder eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit gleichermaßen möglich => Beweislast Vers/HInterbl. BSG, HVBG 99,2441
  • stärker als Beweisnotstand ( Nichtbeweisenkönnen) behindert Darlegungsnotstand ( Nichtwissen) die Tatsachenfeststellung keine Vermutung, daß kaufmännische Führungskräfte stets zu geschäftlichen Zwecken unterwegs seien Breith. 82; 853
  • Heimweg von betrieblicher Weihnachtsfeier, betriebsbezogene Umstände: Beweislast bei Verletzten morgens aufgefunden; mutmaßlicher Verkehrsunfall; neben Strommast aufgefunden - davon herabgestürzt? HVBG 25/98, 2352
  • ohne ersichtl. Grund auf Standspur angehalten u. in Richtung Mittelleitplanke gerannt; Ablehnung HVBG 10/93, 839
  • Abfahrt verpasst, Auslieferungsfahrer aus ungeklärter Ursache an ihm bekannter Ausfahrt zum Kunden - Beweislast unvers. BSG 20/00,1846
  •  nicht zu beweisen , welche Tätigkeiten während Unterbrechung verrichtet hat Beweislosigkeit; HVBG  21/95, 1754
  • Verunglückt ein Versicherter unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hat, entfällt Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen ist, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Verrichtung unterbrochen hatte. LSG BaWü, UVR 3/06, 187, in einer anderen Sache bestätigt durch das BSG B 2 U 28/06 R. UVR 3/2008, 142
  • Bei einem tödlichen Unfall, bei dem keine für eine Selbsttötungsabsicht sprechenden Gründe festgestellt werden konnten, tragen  die Hinterbliebenen  nicht immer die  Beweislast  dafür, dass  der Versicherte im Zeitpunkt des tödlichen  Ereignisses  keine  Suizidabsicht hatte . BSG B 2 U 28/06 R. UVR 3/2008, 142
  • weitläuf .Baustelle, weitab vom zugewiesenen Arbeitsplatz ,tatsächliche Ungewissheit, kein Betriebsbann, Beweislast Verl.  HVBG 15/90, 1181
  • Betriebsweg der mitarbeitenden Ehefrau (behaupteter Kauf von Disketten): Vollbeweis! HVBG 18/98, 1670
  

Beweislast für Einkauf von Lebensmitteln zum unmittelbaren Verzehr nach der Pause

Wenn die versicherte Person nicht nachweisen kann, dass der unfallbringende Weg dem Einkauf von zum Verzehr während der Arbeitszeit benötigter Lebensmittel gedient hat, weil kein Zeuge dies bestätigen kann und auch nach Vorlage eines (nichtssagenden) Kassenzettels Zweifel verbleiben:  "Denn angesichts des Umstandes, dass der Versicherungsschutz hier allein von der Tatsache abhängig ist, dass die Klägerin Nahrungsmittel zum Zwecke der - eigentlich eigenwirtschaftlichen und nicht unter Versicherungsschutz stehenden - Nahrungsaufnahme gekauft hat, unstreitig kein irgendwie gearteter dienstlicher Auftrag bestand und keine Überstunden angeordnet worden waren sowie sämtliche anderen - denkbaren - Verrichtungen als der Einkauf von Nahrungsmitteln bzw. deren Verzehr wie z. B. der Kauf von Zigaretten oder Zeitungen oder das Spazierengehen i. d. R. zum Ausschluss eines versicherten Weges führen, ist hier ein strenger Maßstab an die Beweisführung anzulegen." Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg-  Urteil vom 20.08.2008 - L 3 U 119/07 -

Zum Rückschluss vom vermutlichen Gesundheitsschaden auf das Ereignis

Unfall/äußeres Ereignis (Einwirkung infolge Stromschlag?)

Sächsisches Landessozialgericht

L 2 U 35/02

16.09.2004

...Es ist nicht möglich, eine sich allein nicht selbst tragende medizinische Überzeugung durch einen bloß möglichen Geschehensablauf zu stützen.
 
Ein physikalisch-technisch bloß möglicher Stromschlag und ein medizinisch nur wahrscheinlicher Stromfolgeschaden können nicht dazu führen, einen Stromschlag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
 
Bei einer Addition von Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit kann bestenfalls die Wahrscheinlichkeitsaussage beibehalten werden.
 
Wenn allein ein medizinischer Folgezustand im Wege der Ausschlussdiagnose einen sicheren Rückschluss auf die Erstursache ermöglichen soll, müssen alle anderen praktisch denkbaren Entstehungsursachen ausgeschlossen werden können. Praktisch denkbar bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Alternativursachen so bedeutsam sein müssen, dass sie differenzialdiagnostisch ernsthaft zu erwägen sind.
 
Hier muss ausgehend von einem apallischen Syndrom nach vorausgegangener Hypoxämie, die ihrerseits auf einem Herz- Kreislauf-Stillstand beruht, der höchstwahrscheinlich durch ein Kammerflimmern ausgelöst worden ist, auf die Ursache für dieses Kammerflimmern geschlossen werden. Die ärztlichen Sachverständigen haben - insoweit überzeugend - viele Alternativursachen ausschließen können. Dies gilt jedoch nicht für das idiopathische Kammerflimmern, dessen Auftreten von ihnen allerdings als extrem selten dargestellt worden ist. Aber auch wenn ein idiopathisches Kammerflimmern nur sehr selten bei (tatsächlich oder doch nur scheinbar) Herzgesunden (d.h. Personen ohne nachweisbare strukturelle Herzschäden) in jüngeren Jahren auftritt, handelt es sich immerhin um eine Erscheinung, die differenzialdiagnostisch ernsthaft erwogen werden muss und nicht bloß eine theoretische Möglichkeit darstellt, wie schon die Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen belegen. Man kann als Arzt, wenn eine strukturelle Herzerkrankung nicht gefunden wird, nicht einfach einen Herz-Kreislauf-Stillstand aus unbekannter körpereigener Ursache ausschließen. In diesen Fällen ist es zwar naheliegend und sachgerecht, zunächst auf die sonstigen Sachverhaltsumstände abzustellen, um doch die Ursache zu ermitteln. Hier darf aber, wie oben schon dezidiert ausgeführt, nicht mit Vermutungen argumentiert werden. Die Sachverhaltsumstände müssen gesichert sein, damit der ärztliche Sachverständige seine medizinischen Schlussfolgerungen darauf stützen kann. Sind sie nicht gesichert, verbleibt es bei der unbekannten, möglicherweise körpereigenen Ursache...

Auch hiernach kann nicht im Wege der Ausschlussdiagnose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Stromschlag als äußeres Ereignis angenommen werden. Es bleibt die ernsthafte Möglichkeit, dass der Kläger Opfer eines idiopathischen Kammerflimmerns geworden ist. Das idiopathische Kammerflimmern ist hier eine praktisch denkbare Alternativursache, die von den ärztlichen Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden konnte. ..."

Beweislast für innere Ursache

 
  • Innere Ursachen können bei der Abwägung mit anderen Ursachen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie nicht bloß möglich erscheinen, sondern im Vollbeweis nachgewiesen sind, LSG BaWü, UVR 3/06, 187, körpereigene Ursachen müssen bewiesen sein 90/640 . Die bloße Möglichkeit einer i. U. schließt UV-Schutz nicht aus 7/87, 532; 21/87, 1663
  • Für den Ausschluss der versicherten Tätigkeit als wesentliche Ursache für das Unfallereignis reicht es daher nicht aus, festzustellen, dass der Versicherte eine als Konkurrenzursache grundsätzlich in Frage kommende Grunderkrankung als innere Ursache in sich trägt und damit ein konkurrierender körpereigener Umstand latent und abstrakt vorliegt. Feststehen muss vielmehr auch, dass diese innere Ursache tatsächlich kausal geworden ist, dh einen Ursachenbeitrag gesetzt und das konkrete Unfallereignis (zumindest mit-)verursacht hat. Erst wenn festgestellt ist, dass die vorhandene innere Ursache tatsächlich eine Bedingung ist, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg - hier das Unfallereignis - entfiele, ist in einem zweiten Schritt zu entscheiden, ob die versicherte Tätigkeit oder die nicht versicherte innere Ursache wesentlich für den Eintritt des Unfallereignisses war.
    Die bloße Möglichkeit der Mitverursachung durch eine innere Ursache vermag die festgestellte Ursächlichkeit der versicherten Tätigkeit nicht zu verdrängen. Ist unklar, ob der Versicherte bereits vor dem Sturz einen Anfall erlitten hat, scheidet dieser Anfall als Sturzursache und damit als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne aus (vgl Ziegler, in: SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl, § 8 RdNr 275). Die ursächliche Verknüpfung ist anhand der gegebenen Tatsachen zu beurteilen. Hypothetische Ereignisse kommen als Ursachen nicht in Betracht. Insoweit ist zu beachten, dass für die Fest-stellung eines Arbeitsunfalls der volle Beweis für das Vorliegen sowohl einer versicherten als auch einer inneren nicht versicherten Ursache geführt sein muss (BSG vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R - Juris RdNr 22 mwN) und lediglich für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17jeweils RdNr 20 mwN). BSG 17.02.2009, B 2 U 18/07 R

Beachte aber neue Rechtsprechung des BSG  vom 17.12.2015  B 2 U 8/14 R 

 Innere Ursache

Beweislast für Gesundheitsschaden und Unfallfolgen

Die objektive Beweislast für das Vorliegen eines Gesundheitsschadens, der nach allgemeinen Erfahrungssätzen eine bestimmte MdE bedingt, trägt der Versicherte, d. h. es geht zu seinen Lasten, wenn der in Rede stehende Gesundheitsschaden und die Funktionseinschränkung nicht mit ausreichender Gewissheit aufgeklärt werden können.

Beweislast für den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang

Für den Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R- juris Rdnr. 20 m.w.N.).

Beweiswürdigung:

  • besondere Bedeutung der Erstangaben, BSG, Info 11/86, 862; 3/87, 194
  • unglaubwürdige, weil wechselnde und widersprechende Angaben ( Weg zur Kantine oder zur Arbeit ? ) Ablehnung 27/90, 2306 
  • Verletzter liefert bei Achillessehnenriss unterschiedliche Versionen des Unfallhergangs – ohne plausible Erklärung – spätere = “verfahrensangepasste Schilderung“, erster Hergang war nicht geeignet, => Ablehnung 7/2006, 856
  • versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt. Widersprüchliche Angaben des Betroffenen, mehrfach auf Druck von außen geändert, kein Beweis durch Zeugen und äußere Umstände mehr möglich, daher kann Sachvortrag nicht mehr so plausibel gemacht werden, dass sich keine vernünftigen Zweifel aufdrängen. Es entspricht nicht der Lebenserfahrung, dass ein selbständiger Vermögensberater am Samstagmorgen nach dem Frühstück auf dem Weg ins Dachgeschoss eine betriebsbezogene Handlungstendenz verfolgt. UVR 4/2006, 279
  • Dass Zeugin mit dem Verletzten verheiratet ist, spricht nicht per se gegen ihre Glaubwürdigkeit uvr 2/07, 76

Beweislast für die rechtswidrige Anerkennung eines Gesundheitsschadens

  • für die Rücknahme nach § 45 SGB X genügt es, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der ursächliche (haftungsausfüllende) Zusammenhang entgegen der ursprünglichen Annahme nicht hinreichend wahrscheinlich gewesen ist. Die objektive Beweislast dafür trägt der Unfallversicherungsträger. BSG 20.03.2007 UVR 11/2007, 728
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