Abstrakte Schadensberechnung

Landessozialgericht Hessen 05.06.2014, L 3 U 254/10

"... Um das Vorliegen einer Minderung Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen – ausgehend von konkreten Funktionseinbußen – beeinträchtigt ist, und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden (BSG, Urteil vom 18.01.2011, B 2 U 5/10 R,... ).
 
Maßgeblich ist hierbei die anhand allgemeiner Erfahrungssätze zu bestimmende – durch die jeweiligen Funktionseinschränkungen verursachte – in Prozent oder vom Hundert ausgedrückte Möglichkeit, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Lebensgrundlage in Form eines Erwerbs zu verschaffen, wobei gleiche gesundheitliche Einschränkungen prinzipiell zur gleichen Höhe der MdE führen (sog. Prinzip der abstrakten Schadensberechnung, siehe z. B...).
 
Der Verlust oder die Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten besonderer beruflicher Kenntnisse oder Fähigkeiten des Versicherten sind – außerhalb der Sonderregelung des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII – grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 14.11.1984,...). Die Feststellung der durch den Versicherungsfall bedingten MdE erfolgt durch Vergleich der unmittelbar vor dem Versicherungsfall bestehenden individuellen Erwerbsfähigkeit (einschließlich etwaiger Vorschädigungen) mit der Situation nach dem Versicherungsfall, wobei unabhängig von dem Versicherungsfall eintretende Änderungen der Erwerbsfähigkeit außer Betracht bleiben (Scholz, ...)..."

Landessozialgericht Baden-Württemberg L 9 U 847/10 - 29.07.2014
 "...Bei der Verletztenrente handelt es sich gerade nicht um eine Geldleistung, die dazu bestimmt ist, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen (Seewald in Kasseler Kommentar, a.a.O., § 54 Rn. 33l). Die Verletztenrente gemäß §§ 56 ff. SGB VII verfolgt einen anderen Zweck. Sie dient dem Ausgleich des durch den Versicherungsfall bedingten abstrakten Schadens im Erwerbseinkommen. Sie schafft allein einen Ausgleich durch einen abstrakt bemessenen schädigungsbedingten Verlust der Erwerbsmöglichkeiten und Abstufung durch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit. Dabei ist unerheblich, ob und wie sich ein Gesundheitsschaden tatsächlich im Entgeltbezug auswirkt (vgl. hierzu Ricke ...). ..."

sozialgerichtsbarkeit.de


Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 16. März 2011 - 1 BvR 591/08

bundesverfassungsgericht.de

"...Das Bundessozialgericht hat ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG die Verletztenrenten nicht als zweckbestimmte Einnahmen bewertet.

38

(a) Dass die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zumindest teilweise nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt sein soll, lässt sich dem herkömmlichen und dem geltenden Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht eindeutig entnehmen. Nach der gesetzgeberischen Konzeption handelt es sich bei der Verletztenrente vielmehr um eine abstrakt berechnete Verdienstausfallentschädigung (vgl. dazu BVerwGE ...), die ebenso wie der Arbeitslohn selbst der Sicherung des Lebensunterhalts dient. Dies kommt, wie das Bundessozialgericht ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht festgestellt hat, in den Vorschriften über die Voraussetzungen und die Höhe der Verletztenrente deutlich zum Ausdruck (vgl. hierzu oben I. 1. b)).

39

(b) Es ist auch nicht deshalb aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG geboten, die Verletztenrente als teilweise zweckbestimmte Leistung zu bewerten, weil ihr durch die fachgerichtliche Rechtsprechung und die Literatur auch die Funktion zugesprochen wird, Nichterwerbsschäden abzugelten, das heißt immaterielle Schäden auszugleichen und verletzungsbedingte Mehraufwendungen zu decken (vgl. BSGE ...).
 
Diese Funktion der Verletztenrente wird, soweit ersichtlich, überwiegend nicht durch Auslegung aus den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung oder des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch hergeleitet, sondern mit einer tatsächlichen Änderung der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Rahmenbedingungen begründet (vgl. auch BSGE ...), die dazu geführt habe, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bei leichten oder mittelschweren Unfällen keine oder fast keine Lohneinbußen und auch bei schweren Unfällen nur teilweise Lohneinbußen verursache (vgl. BSG, Urteil vom...).
Dieser „tatsächliche“ oder „wirtschaftliche Funktionswandel“ (vgl. BVerwGE ...) ist jedoch nicht mit einer Zweckbestimmung durch den Gesetzgeber selbst, die allein die Privilegierung der Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II rechtfertigt, gleichzusetzen. Dem stünde auch entgegen, dass Reformvorhaben, die eine Aufspaltung der Verletztenrente in eine Leistung, die immaterielle und körperliche Gesundheitsschäden ausgleicht, und eine an die Erwerbsarbeit gekoppelte Erwerbsschadensrente vorsehen (vgl.  ...), bislang nicht durch den Gesetzgeber verwirklicht wurden...."
Ist eine Reform des Rentenrechts und der MdE-Bewertung überfällig?
Minderung der Erwerbsfähigkeit
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