Mittelbare Unfallfolge
infolge der ärztlichen Behandlung der Unfallfolgen (und Nichtunfallfolgen?)
BSG 5.8.1993, 2 RU 34/92
"Wird anläßlich einer zur Erkennung von Unfallfolgen durchgeführten Operation ein - eindeutig abgrenzbarer - zusätzlicher ärztlicher Eingriff zur Behebung eines unfallunabhängigen Leidens vorgenommen, so können die aus diesem Eingriff resultierenden Gesundheitsstörungen dem Arbeitsunfall zwar nicht zugeordnet werden ... Ist die ärztliche Handlungstendenz jedoch durchgängig darauf gerichtet, Unfallfolgen zu behandeln, und sind die Diagnose oder die Behandlung fehlerhaft, so sind auftretende Komplikationen oder Gesundheitsschäden in der Regel vom Risikobereich der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßt und als mittelbare Unfallfolgen zu entschädigen."
BSG · Urteil vom 5. Juli 2011 · Az. B 2 U 17/10 R
"
§
11 SGB VII setzt zwar - wie aufgezeigt - nicht notwendig voraus, dass ein
Versicherungsfall oder auch nur ein
Unfallereignis oder ein unfallbedingter Gesundheitsschaden objektiv vorliegen. Andererseits kann aber die bloß subjektive, irrige Vorstellung, eine Untersuchung oder Behandlung werde im Rahmen der berufsgenossenschaftlichen
Heilbehandlung angeordnet oder durchgeführt, den spezifischen Zurechnungszusammenhang der Tatbestände des §
11 SGB VII nicht auslösen.
Ein Zurechnungstatbestand nach §
11 Abs 1 oder Abs 2 SGB VII kann aber auch dann erfüllt sein, wenn der Leistungsträger oder der insofern ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt (hierzu bereits soeben unter 3. b)
bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder auch den Rechtsschein gesetzt hat, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (einschließlich einer Unfallfolge) angeordnet werde. Das ist stets der Fall, wenn ein vernünftiger, "billig und gerecht" denkender Versicherter aufgrund des Verhaltens des Unfallversicherungsträgers (bzw seiner Organe) und der Durchgangsärzte davon ausgehen durfte, er sei aufgefordert oder ihn treffe die Obliegenheit gemäß §§ 62, 63 SGB I, an der Maßnahme mitzuwirken (zum Prüfmaßstab bereits oben 3. a, cc).
d) Die Voraussetzungen der Zurechnungstatbestände des § 11 Abs 1 Nr 1 und/oder Nr 3 SGB VII können also gegeben sein, wenn das LSG zu der Feststellung gelangt, dass die Arthroskopie als Untersuchungsmaßnahme gemäß §
11 Abs 1 Nr 3 SGB VII bzw die Resektion als Heilbehandlung gemäß §
11 Abs 1 Nr 1 SGB VII vom Durchgangsarzt der Beklagten zurechenbar angeordnet worden ist. Schließlich können diese Zurechnungstatbestände auch dann vorliegen, wenn die Beklagte (oder der für sie handelnde Durchgangsarzt) dem Kläger als rechtstreuen Versicherten gegenüber den objektivierbaren Anschein oder Rechtsschein gesetzt hat, dass die Untersuchung bzw Operation im Rahmen der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit durchgeführt werde.
Gelangt das LSG in dem wiedereröffneten Berufungsverfahren zu der Überzeugung, dass einer dieser Tatbestände des § 11 SGB VII vorliegt, so wird es abschließend festzustellen haben, ob die Durchführung der Heilmaßnahme/Untersuchung die wesentliche Ursache der als Unfallfolgen im weiteren Sinne geltend gemachten Gesundheitsschäden ist. Bislang hat es das LSG - von seiner Rechtsansicht her folgerichtig - unterlassen, festzustellen, ob die geltend gemachten Gesundheitsschäden rechtlich wesentlich (überhaupt und ggf auf welche dieser beiden Maßnahmen) auf die Arthroskopie oder die Resektion zurückzuführen sind. Dabei wird zum einen - je nachdem, welcher Zurechnungstatbestand ggf vorliegt - zu ermitteln sein, ob die Gesundheitsschäden, insbesondere die Thrombose der Vena saphena parva rechts, durch die Arthroskopie oder die Innenmeniskushinterhornresektion (oder durch beide) notwendig verursacht wurden. In diesem Zusammenhang sind ggf auch (im Blick zB auf die Stammvarikosis etc) Feststellungen erforderlich, ob und welche weiteren Gesundheitsstörungen beim Kläger vorliegen, die uU ebenfalls notwendige Ursachen waren. Ggf ist die rechtliche Wesentlichkeit der notwendigen Ursachen zu beurteilen (...)."
BSG · Urteil vom 15. Mai 2012 · Az. B 2 U 31/11 R
aktuelle Entscheidung des BSG vom
06.09.2018 - B 2 U 16/17 R:
"...Der Kläger hatte vor dem LSG selbst angeregt, den operierenden D-Arzt Dr. S. als Zeugen zu hören. Dies wird das LSG nachzuholen und dabei insbesondere den Inhalt der Gespräche zwischen Dr. S. und dem Kläger zu ermitteln haben. Die Beklagte müsste sich das Handeln ihres Amtswalters Dr. S. jedenfalls dann nicht zurechnen lassen, wenn ein kollusives Zusammenwirken vorläge oder Dr. S. dem Kläger gegenüber klargestellt hätte, dass er lediglich wegen der erheblichen Schmerzen operiere, ohne dass ein Zusammenhang mit dem Unfall vorliege...."
"...
Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger unter Berücksichtigung dieser Grundsätze nach Treu und Glauben davon ausgehen durfte, dass die Operation durch den D-Arzt Dr. S. zur Durchführung einer Heilbehandlung iS des § 11 SGB VII erfolgte. Das LSG hat zwar festgestellt, dass Dr. S. in seinem Zwischenbericht über die Untersuchung vom 9.10.2012 eine Operation für erforderlich gehalten hatte, weil er trotz des MRT-Befunds an einen Ursachenzusammenhang glaubte. Ebenso hat es festgestellt, dass er diese Operation durchführte und dass diese Operation kausal zu den weiteren, geltend gemachten Gesundheitsschäden führte. Ob jedoch Dr. S. in dem Zeitraum zwischen der ersten Untersuchung und der dann durchgeführten Operation weiterhin dieser Auffassung war und diese Überzeugung dem Kläger auch so vermittelte, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Das LSG wird daher aufzuklären haben, ob und welche Umstände vorlagen, die Aufschluss darüber geben könnten, dass Dr. S. bis zu der Operation weiterhin von einer Behandlung eines Unfallerstschadens ausging und dies dem Kläger gegenüber auch so klar zum Ausdruck brachte. Das LSG wird dabei insbesondere zu ermitteln haben, welche Erklärungen Dr. S. gegenüber dem Kläger abgegeben hat. Anlass zu weiteren Ermittlungen zu dem Inhalt der Gespräche zwischen Dr. S. und dem Kläger besteht hier auch deshalb, weil andere Ärzte offenbar nicht ohne Weiteres von der erforderlichen Behandlung eines Unfallerstschadens bzw einer unmittelbaren Unfallfolge ausgegangen waren. Durch Befragung des Dr. S. und auch des Klägers wird daher zu ermitteln sein, inwiefern die anderen ärztlichen Ansichten diesem mitgeteilt wurden und inwiefern es dem Kläger klar war, dass über die Notwendigkeit einer unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung medizinischer Streit bestand. So sah der D-Arzt Dr. L. in seinem Bericht an die Beklagte vom 9.10.2012 keine Operationsindikation und regte eine Vorstellung in der UBS an. Er führte in diesem Bericht aus, dies habe er telefonisch Dr. S. mitgeteilt. Dr. H. , tätig für die UBS, hielt in seinem Bericht vom 15.10.2012 eine Arthroskopie zur weiteren Aufklärung für indiziert, wenn sich dies aufgrund von MRT-Befunden ergebe. Die Voraussetzungen des Zurechnungstatbestands des § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII dürften hier folglich nur dann gegeben sein, wenn das LSG zu der Feststellung gelangt, dass die Operation als Heilbehandlung gemäß § 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII von Dr. S. gerade in seiner Eigenschaft als D-Arzt angeordnet wurde und Dr. S. dem Kläger gegenüber den objektivierbaren Anschein oder Rechtsschein gesetzt hat, dass die Operation im Rahmen der unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeit durchgeführt wird. Konnte der Kläger insofern auf entsprechende Erklärungen und ein diesen entsprechendes Verhalten des Dr. S. vertrauen, so kann dieses Vertrauen auch die Tatsache überwiegen, dass dem Kläger möglicherweise bekannt war, dass andere Ärzte eine unterschiedliche Auffassung zur erforderlichen Heilbehandlung aufgrund des Unfallereignisses und des Gesundheitserstschadens vertraten. Insofern verkennt die Revision und auch das LSG, dass der im unmittelbaren Eindruck eines Unfallgeschehens stehende Verletzte kein rational kalkulierendes Subjekt ist, das verschiedene ärztliche Auffassungen zur Kausalität eines unfallbedingten Krankheitsgeschehens jeweils objektiv abwägen und beurteilen kann. Jedenfalls spricht die Tatsache allein, dass unterschiedliche Ärzte unterschiedliche Auffassungen vertraten, nicht dafür, dem Kläger von vorneherein abzusprechen, dass er subjektiv und als medizinischer Laie auf eine dieser Meinungen vertrauen durfte... "
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